Namensgeber Adolf Reichwein
Die Adolf-Reichwein-Schule Nürnberg ist, (Zitat aus einem Brief des Sohnes Reichweins, Dr. Roland Reichwein, 1989) „eine Schule, die sich ernsthaft bemüht, ihrem Namenspatron Ehre zu machen“.
Sie trägt den Namen eines Mannes mit außerordentlichen menschlichen und pädagogischen Qualitäten. Reichweins kindgerechtes, an praktischer Erfahrung orientiertes Lehren ist ihr Vorbild. Wesentliches Kennzeichen Reichweinscher Pädagogik ist die intensive Beschäftigung mit Kindern während des gesamten Tages. Es ist offensichtlich, dass dies erst an einer Ganztagsschule verwirklicht werden kann. Hier kann sich die „Nachbarschaft“ zwischen erziehenden Erwachsenen und Schülern voll entfalten und der Lehrer wirklich Einsicht in das Wesen des Kindes gewinnen.
Die Schulgründer suchten sich 1958 bewusst den Reformpädagogen Reichwein als Namensgeber. Im Zuge der Schulentwicklung knüpften schließlich Mitglieder des Leitungsteams persönlichen Kontakt zur Familie Reichweins und pflegten ihn. Sowohl das alte Schulhaus in der Kilianstraße als auch das neue Ganztagsgebäude im Schleifweg dienten jeweils als Ort der Begegnung zwischen den Nachfahren Reichweins und Schülergruppen der Nürnberger Reichwein-Schule.
Warum gerade Reichwein?
Adolf Reichwein (1898-1944), Professor in der Lehrerausbildung aber auch selbst Lehrer und Mann der Praxis, liefert keine feststehende Schultheorie, sondern in seinem pädagogischen Hauptwerk die Beschreibung von „… kleinen Schritten, die jeweils genau bedacht sind und aus denen die unverwechselbare Gestalt einer Lebensgemeinschaftsschule entsteht. Kein Plan, kein kopierbares Muster ist vorgegeben.“ So ist es in einer Biografie Reichweins nachzulesen.
Ob „auf großer Fahrt“ mit seinen Schülern, als Pilot bei waghalsigen Flügen über die Alpen in seinem Sportflugzeug, beim erstmaligen Gestalten kunsthandwerklicher Ausstellungen unter Mitwirkung „echter Handwerker“ oder auf Forschungsreisen durch die USA, Mexiko, Kanada, Japan und China – Reichweins Leben und Wirken zeigte geradezu abenteuerliche Züge. Seine Lebensgeschichte und seine pädagogischen Visionen wirken an der Nürnberger Reichwein-Schule als Begleiter im Hintergrund des Schulalltags mit. Reichweins Lehrer-Credo lautete:
Seine Schüler sollten durch ihre schulische Arbeit befähigt werden, ihr Lernen selbst individuell zu gestalten, ihre besonderen Fähigkeiten zu entfalten, und sich damit später in das Gemeinwesen einzubringen. Die Kinder und Jugendlichen mussten dabei, so Reichwein, „weder zwanghaft Erwachsene spielen, noch sollten sie von Erwachsenen zu Zwergen erniedrigt werden, sondern einfach – nicht weniger und nicht mehr – junges Volk sein.“
Reichwein sah die ihm anvertrauten Kinder durch die von ihm initiierte Projektarbeit schulisch vorankommen und selbstbewusst kompetent werden. Sie unterrichteten sich scheinbar selbst, indem sie „selbsttätig“, vom Lehrer geführt, spielten, experimentierten, Wirkung auf ihre Mitmenschen erfuhren, forschten und Neues erlernten. Die Schüler sicherten und festigen ihr neues Wissen selbstständig und möglichst eigenverantwortlich in „Eigenarbeit“, z.B. in eigenen Schriftwerken, Datenbüchern oder Wandzeitungen.
Heute arbeiten die Schüler an der Reichweinschule mit Logbuch, Portfolio und Projekttagebuch. Reichweins Pädagogik ist also modern geblieben. Gegenseitige Unterstützung, Helfersysteme, Erkundungsfahrten waren ihm selbstverständlich; übersetzt bedeutet dies an einer modernen Schule „Kooperatives Lernen“, „Unterstützung durch Tutoren“ und „Lernen mit außerschulischen Experten vor Ort“.
Reichwein setzte als Lehrer Lernimpulse und sprach tatsächlich davon, sich durch Schaffen besonderer Lernsituationen (als Lehrer – nicht als einfühlsamer Lernbegleiter) allmählich überflüssig zu machen. Er sah seine Schule als gesellschaftlichen Lebens- und Erfahrungsraum, in dem Sicherheit und Geborgenheit gepflegt wurde, in dem das Lernen angeregt wurde durch Erleben der Praxis, durch Mitwirken des Schülers und durch eigenes aktives Schaffen. An die Stelle des reproduktiven Schülers setzte Reichwein das produktive Kind. Er war sich einer „Selbstkraft“ sicher, „die jedem Kinde innewohnt.“ Es gilt, sie zu nutzen!